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13. Oktober 2002 - FAZ Sonntagszeitung - Immobilien

Der geheime Plan des Henning Voscherau
Spektakuläres von der Hamburger HafenCity und der Olympiabewerbung 2012

Am Anfang - es war kurz nach der politischen Wende, zu Beginn der neunziger Jahre - war es ein Handschlag zwischen einem Politiker und einem Manager: Henning Voscherau, von 1988 bis 1997 Erster Bürgermeister der Hansestadt Hamburg, und Peter Dietrich, Vorstandsvorsitzender der Hamburger Hafen- und Lagerhaus AG (HHLA). Beide schmiedeten einen geheimen Plan, um der Stadt eines der ungewöhnlichsten Stadtentwicklungsprojekte Europas zu bescheren. Nach einer Diskussion über die zugunsten Berlins zurückgezogene Olympiabewerbung suchten sie nach Wegen, wie die Hansestadt im Wettbewerb der internationalen Metropolen wieder auf einen der ersten Plätze vorrücken könnte.

Zwar gelang dem 1988 neu gewählten Präsidenten des Senats der Hansestadt aus der bekannten Schauspielerfamilie der Voscheraus das wohl größte Reformvorhaben der Stadt; er stülpte den gesamten Hamburgischen Staatsapparat um und konnte Hamburgs Wandel zur modernen Dienstleistungsmetropole auf diesem Weg entscheidend vorantreiben. Doch viele seiner anderen Pläne stießen - schon aus Mangel an bebaubaren Flächen in der Innenstadt - auf schier unüberwindlich erscheinende Schwierigkeiten. Für die damals vorbereitete Olympia-Bewerbung 2000 hätte zum Beispiel das Heiligengeistfeld im Zentrum der Stadt mit einem olympischen Stadion zugebaut werden müssen. Damit wäre der Platz für andere Großveranstaltungen wie den "Hamburger Dom" versperrt. Auch hätte die gesamte Nordseite der Elbe vom Alten Fischmarkt an für das Olympische Dorf reserviert werden müssen. Für viele Hanseaten war das alles ein Albtraum, ebenso wie der geplante Verkauf der Ende des neunzehnten Jahrhunderts im Freihafen errichteten Speicherstadt an private Bauherren. Angesichts der drohenden Vertreibung aus den imposanten Jugendstilgebäuden drohten die Pächter, darunter Teppich- und Gewürzhändler, auf die Straße zu gehen, was wegen der Hausbesetzerszene und kriegsartiger Zustände in der benachbarten Hafenstraße keine allzu guten Voraussetzungen für eine Olympiabewerbung waren.

Doch kam der Hamburgische Landeschef in dem Gespräch mit HHLA-Vorstand Dietrich auf eine sensationelle Idee: Ein großer Teil des 1880 für die damaligen Frachtensegler eingerichteten Hafengeländes mit den vielen schlanken Molen würde in den kommenden Jahren für die moderne Containerschiffahrt nicht mehr nutzbar sein. Sie benötigt breite Lagerflächen direkt am Kai. Dafür - so ihre Überlegung - könnte im südwestlichen Altenwerder, dort wo einst Hühner gackerten, das modernste Container-Terminal der Welt entstehen. Heute ragt dort zwischen hochgestapelten Containern und High-Tech-Logistic-Zentren nur noch der Turm der alten Backsteinkirche hervor. Im ausgedienten Hafen aber, so die Überlegungen Voscheraus, könnte - nur wenige Gehminuten vom Rathaus entfernt - ein pulsierendes Wohn- und Büroviertel entstehen. Statt öder Monostrukturen mit Einkaufs- und Bürostädten könnten in der HafenCity Wohnen, Arbeiten, Kultur, Einkauf und Freizeit in alten Speichern und neuen Gebäuden zusammengeführt werden. Dabei sollte das Gelände durch Aufschüttungen von mehreren Metern Höhe sturmflutsicher gemacht werden.

150 Hektar bebaubare Flächen bis hin zu den Elbbrücken ließen sich sogar für Sport- und Kulturstätten nutzen, vielleicht sogar für eine neue Olympiabewerbung: Ein genialer Einfall, von dem aber weder der Hamburger Senat noch die Bürgerschaft oder gar die Öffentlichkeit vorzeitig etwas erfahren durften. Zu groß war die Gefahr von Grundstücksspekulationen und politischem Störfeuer. Das Unwahrscheinliche gelang.

HHLA-Chef Dietrich konnte über Jahre hinweg alteingesessene Hafenbetriebe verlagern und Grundstücke aufkaufen, ohne daß irgend jemandem auffiel, daß sich immer weniger Kräne an den alten Kaimauern drehten und ein Lagerschuppen nach dem anderen leer stand. Erst als die Hamburgischen Elektricitätswerke (HEW) ihr altes Fernheizkraftwerk im Hafen erneuern wollten, gab es erste Mitwisser. Voscherau weihte den HEW-Aufsichtsratvorsitzenden in die Pläne ein, um den Standort zu verlagern. Als 1996 eine Bürgschaft vereinbart werden mußte, bat Voscherau einige Senatsmitglieder und Wirtschaftsführer zu einem vertraulichen Gespräch ins Rathaus. Er brauchte ihre Unterstützung, um seine Pläne nun auch in rechtliche Formen zu gießen: So sollten die Erlöse aus dem Verkauf von Hafengrundstücken an Bauherren in den Ausbau des neuen Container-Hafens Altenwerder fließen. Zugleich wollte Voscherau seinen Hafenplan in eine städtische "Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung mbH" (GHS) einbringen, die das Projekt HafenCity in die Hand nehmen sollte. Hamburg besitzt keine eigene Landesentwicklungsgesellschaft, da die in den achtziger Jahren zusammen gebrochene gewerkschaftseigene Wohnungs- und Städtebaugesellschaft Neue Heimat solche Aufgaben eigentlich hatte übernehmen wollen.

"Am Überseetag 1997 überraschte Voscherau die Öffentlichkeit mit einem seit Jahren hochvertraulich vorbereiteten Projekt, die Hafenflächen am Nordufer der Elbe für die Innenstadt zurückzugewinnen", heißt es heute in Munzingers Internationalem Biographischen Archiv. "Jetzt galt es, Symbole zu schaffen, um zu zeigen, daß es der Senat ernst meint", sagte Voscherau. Er plädierte dafür, die HafenCity und den Flughafen Fuhlsbüttel an das städtische S- und U-Bahn-Netz anzubinden, mit der Möglichkeit, den Bahnanschluß eines Tages weiterzuführen nach Harburg auf der Südseite der Elbe. Hamburg sollte - für alle sichtbar - nicht mehr an der Nordseite der Elbe enden. Dafür war eine vierte Elbröhre geplant. Zugleich wollte er die Hamburger Oper, ein Gebäude mit dem spröden Charme der fünfziger Jahre, eingepfercht in der Innenstadt, in die HafenCity umquartieren und für sie - ähnlich wie im australischen Sydney - ein architektonisches Glanzstück errichten und es durch den Verkauf des alten Grundstücks finanzieren lassen.

Voscherau spielte sogar mit dem Gedanken, die Deutsche Bahn zu verklagen. Zwar gehört das Hafengelände der Stadt, doch 20 Prozent davon macht die Bahn für sich geltend. Unter Kaiser Wilhelm mußte die Hansestadt einen Teil des Geländes an die Bahn abtreten, die dort den "Hannoverschen Bahnhof" errichtete. Doch konnten die Liegenschaftsbeamten der Hansestadt eine tückische Vertragsklausel durchsetzen. Danach muß die Bahn das Gelände bei Aufgabe der betrieblichen Nutzung wieder an die Hansestadt herausrücken, so nachzulesen in den noch in Sütterlinschrift verfaßten Verträgen. Doch die Bahn weigert sich unter Hinweis auf Rechtsänderungen im Dritten Reich. Mit der damals erfolgten "Gleichschaltung der Länder" - so macht die Bahn geltend - seien auch die Rechtsansprüche Hamburgs erloschen. Voscherau: "Wenn ich hier noch was zu sagen hätte, würde ich den Rechtsweg beschreiten."

Doch viele seiner Visionen über Hamburgs Weg vom nationalen Zentrum zur europäischen Metropole wurden nach seinem Rücktritt vom Amt im Oktober 1997 in einem kleinbürgerlichen Parteienegoismus zerfleddert. Zur Verblüffung der Bevölkerung hatten die "Grünen" die S-Bahn-Anbindung des Flughafens zuvor abgelehnt; und sie gedachten ernsthaft, eine Straßenbahn in die geplante HafenCity fahren zu lassen. Und die Pläne für ein aufsehenerregendes Opernhaus am Wasser schmolzen in eine absurde Sanierung des alten Gebäudes, ein Faß ohne Boden, das bisher schon viele Millionen Euro verschlungen hat, ohne es ersichtlich attraktiver zu machen. Selbst in die politischen Diskussionen über die HafenCity mischten sich schrille Töne über ein Utopia an der Elbe, das niemand bezahlen könne.

Heute leidet die Hansestadt unter den Verzögerungen und Versäumnissen. "Diese Vergeudung von Ideen und Kapital macht mich ganz krank", sagt der heute wieder als Notar tätige ehemalige Erste Bürgermeister. Internationale Berater höhnen gar: Das "Tor zur Welt" stehe "unter Provinzverdacht". So zu lesen in einer Mc-Kinsey-Studie über "Hamburg Visionen 2020". Dort ist von einer "gewissen hanseatischen Selbstzufriedenheit und einem Mangel an breit getragenen, ambitionierten Zielen für die Stadt" die Rede. Das stehe in einem scharfen Kontrast zur Aufbruchstimmung anderer Metropolen. Hafenstädte wie Barcelona, Kopenhagen und Rotterdam hätten die Hansestadt Hamburg mit ihrem Produktivitätswachstum weit überholt. Die Stadt benötige einen Entwicklungsschub, um wieder in die Gruppe der dynamischen Metropolen aufzusteigen.

Ole von Beust, Hamburgs heutiger Erster Bürgermeister, hat - über Parteigrenzen hinweg - diese Chance ergriffen. Was Voscherau nicht gelang, scheint jetzt mit Hamburgs Olympiabewerbung für 2012 zu gelingen: "Sie beginnt wie ein Impulsgeber für die HafenCity zu wirken", betonten sowohl Voscherau als auch Hamburgs Finanzsenator Wolfgang Peiner auf einer Seminarreise des Hamburgischen Landesverbands Ring Deutscher Makler. Der Funke der Begeisterung sei übergesprungen. Hamburgs Bevölkerung stehe hinter der Olympiabewerbung und der HafenCity. Hier ist ein erstes Großprojekt, das gläserne Schulungszentrum des Softwareunternehmens SAP, schon fast fertig, und der markante "Kaispeicher A" wird nach Plänen der Architekten Benthem Crouwel aus Amsterdam in einen Media-City-Port mit Akademie, Ausstel lungshallen, Lofts und Wellness- Einrichtungen verwandelt, mit einem 90 Meter hohen asymmetrischen Glaskubus für die Büronutzung. Längst sind auch die alten Verkehrspläne wieder aus der Schublade heraus, darunter die vierte Elbröhre, neue Elbbrücken und die Anbindung von Flughafen und HafenCity an das S- und U-Bahn-Netz.

Und - einmalig in der neueren Geschichte der Olympischen Spiele - fast 90 Prozent der erforderlichen Sportstätten liegen in einem Radius von nur zehn Kilometern um das Olympia-Zentrum in der HafenCity. Mit einer visionären Sportpolitik könnte sich Hamburg in der Tat in ein international beachtetes Sportzentrum am Wasser verwandeln.

An Hotelbetten wird es zur Olympiade nicht mangeln, denn direkt vor dem Olympia-Zentrum sollen Kreuzfahrtschiffe während der Spiele auffahren und als vorübergehende Unterkünfte verhindern, daß zu viele Hotelkapazitäten entstehen. Auch liegt das Olympische Dorf - von Wasser umgeben - auf einem der sichersten Standorte und paßt sich mit seinen Unterkünften für die Sportler in die Baupläne der HafenCity ein. Denn auf den Molen und in Sichtweite des Hafens sollen 5500 Wohnungen in vielfältigen Formen und Preisen entstehen, mit Yachthafen und Kreuzfahrtterminal für Fernreisen vor der Haustür, umgeben von Parks, Plätzen und Promenaden.

Und diesmal will niemand die Teppich- und Gewürzhändler aus der Speicherstadt vertreiben. Sie ist durch eine Atem raubende Beleuchtung, eine Freilichtbühne und eine elegante Fußgängerbrücke in die Innenstadt schon heute eine Attraktion, mit einem Kulturbetrieb, der Publikum anzulocken beginnt. Bereits jetzt gibt es eine Flut von Anfragen, wie teuer denn die Wohnungen am benachbarten Sandtorkai werden: Schon in zwei Jahren sollen sie bezugsfertig sein und vom Wohnzimmer und von den Balkonen und Terrassen aus einen Blick auf Kräne, Kreuzfahrtschiffe und auf die Türme der Stadt bieten.

So verwundert es nicht, daß Hamburg als einzige deutsche Stadt ihre Olympiabewerbung mit Computersimulationen fertig hat und sich kaum vorstellen kann, bei der nationalen Auswahl im Frühjahr ernsthafte Konkurrenz von anderen deutschen Städten zu bekommen. Der geistige Vater der HafenCity, Henning Voscherau, und auch sein heutiger Nachfolger Ole von Beust sehen in den Olympischen Spielen - selbst wenn sie nicht 2012, sondern erst vier Jahre später nach Hamburg kämen - eine Jahrhundertchance für die Hansestadt und die HafenCity, Europas spektakulärstes Bauvorhaben.

Jens Friedemann


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