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ak - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 472 / 18.04.2003

"A miniature world was here set up by itself, rigidly protected from the world outside." (1)

nach olympia

Das KünstlerInnenduo? Grösch / Metzger untersucht olympische Dörfer nach den Spielen Berlin

Anlässlich der Olympischen Sommerspiele in Los Angeles 1932 wurde das erste olympische Dorf in der Geschichte der Spiele der Neuzeit errichtet. Aus dem damaligen Abschlussbericht geht hervor, dass mit der Errichtung, neben praktischen Gründen wie der kostengünstigen Unterbringung der SportlerInnen?, auch die idealistische Hoffnung verbunden wurde, hier einen Ort zu schaffen, an dem sich Menschen unterschiedlicher nationaler und kultureller Herkunft kennen lernen und für einen begrenzten Zeitraum miteinander leben können, sozusagen als Beispiel für eine funktionierende multikulturelle Gesellschaft im Kleinen. Seit dem Erfolg des olympischen Dorfes in Los Angeles werden alle vier Jahre - seit 1992 alle zwei Jahre - in unterschiedlichen kulturellen und politischen Kontexten olympische Dörfer für bis zu 15.000 Menschen gebaut. Da sie während der Spiele jedoch nur für etwa sechs Wochen bewohnt werden, spielt bei ihrer Planung vor allem die Frage der Nutzung nach den Spielen, z.B. im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus, der Stadterweiterung oder der städtischen Umgestaltung, eine wesentliche Rolle.

In den Medien und im Jargon des Internationalen Olympischen Kommitees (IOC) wird das olympische Dorf gerne als "Dorf des Friedens und des Miteinanders" und als "Global Village" bezeichnet. Doch dem idealistischen Bild einer von nationalen und kulturellen Grenzen befreiten Miniaturwelt steht der hohe sicherheitstechnische Aufwand gegenüber, der während der Spiele betrieben wird, um Störungen von außen fern zu halten. Hierin sind sie vergleichbar mit "Gated Communities", abgegrenzten und von privaten Sicherheitsdiensten bewachten Wohngebieten mit homogener Bewohnerschaft.

Die Isolierung des Dorfes während der Spiele kann eine Gettoisierung des Dorfes und seiner BewohnerInnen? nach den Spielen zur Folge haben. Das olympische Dorf der Winterspiele 1980 in Lake Placid/USA treibt den Aspekt der Isolation auf die Spitze. Es wurde, da nach der Olympiade kein Bedarf an Wohnraum bestand, als Bundesgefängnis geplant und wird noch heute als solches genutzt. Allgemein können die olympischen Dörfer als Beispiel für groß angelegte städtebauliche Projekte herangezogen werden. An ihnen lassen sich exemplarisch die städtebaulichen Entwicklungen und Utopien des 20. Jahrhunderts verfolgen und ablesen, inwieweit sich die utopischen Ansprüche, die der Planung zu Grunde lagen, in der Nachnutzung bewähren. Im Rahmen des Projekts "nach olympia" haben wir bisher Recherchen in den olympischen Dörfern in Berlin, Rom, Grenoble, Innsbruck, München, Seoul und Sydney durchgeführt.

Das olympische Dorf der Sommerspiele 1936 liegt ca. 40 km westlich vom Berliner Stadtzentrum zwischen den Orten Elstal und Döberitz. Am Tag unseres Besuches fanden im olympischen Dorf Dreharbeiten für einen Krimi statt. Eines der Tore stand offen, um die Fahrzeuge der Filmproduktion auf dem Gelände zu parken.

Das weitläufige, leicht hügelige Areal wurde seit dem Abzug der sowjetischen Truppen im Jahre 1992 sich selbst überlassen; auf den Wiesen zwischen den verfallenen Häusern grasen Rehe. Vom ursprünglichen Dorf existieren nur noch mehrere eingeschossige Mannschaftsbaracken sowie zwei größere Gemeinschaftshäuser, eine Box-, eine Schwimmhalle und ein Sportplatz.

Während der Spiele waren hier ausschließlich die männlichen Teilnehmer untergebracht, die Sportlerinnen wohnten in Hotels im Stadtzentrum. Nach den Spielen wurde das Dorf von den Nazis als Kaserne genutzt. Der größte Teil der ursprünglichen Bauten wurde von der Sowjetarmee, die das Areal nach dem 2. Weltkrieg als Kaserne übernahm, abgerissen, um zahlreiche mehrgeschossige Wohngebäude zu errichten. Seit 1992 stehen diese leer und werden momentan für eine Sanierung vorbereitet. Aus allen Gebäuden wurden die Fenster und Türen entfernt. In den nächsten Jahren soll auf dem Gelände eine "Wohnstadt im Grünen" mit etwa 3.000 Wohnungen entstehen. Die noch existierenden historischen Bauten werden renoviert. (April 2000) Innsbruck

In Innsbruck haben zwei Mal Olympische Winterspiele stattgefunden: 1964 und 1976. Beide olympischen Dörfer liegen direkt nebeneinander, so dass in der Stadt nur von einem "O-Dorf" gesprochen wird. Es liegt, durch den Inn vom Rest der Stadt getrennt und umgeben von Gewerbegebieten, am östlichen Stadtrand. Innerhalb der Stadt bringt man dem olympischen Dorf und seinen BewohnerInnen? zahlreiche Vorurteile entgegen; es gilt als sozialer Brennpunkt. Die BewohnerInnen? hingegen loben die hohe Wohnqualität des olympischen Dorfes.

Das Dorf von 1964 bestand ursprünglich aus acht zehngeschossigen Wohnblöcken, umgeben von großen Rasenflächen. Nach den Spielen wurden im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus weitere Gebäude ähnlicher Bauart hinzugefügt. Die Gebäude von 1976 stehen entlang dem Innufer. Sie haben zum Flussufer hin stufig abfallende Geschosszahlen, eine bronzefarbene Fassade und orangefarbene Markisen. Zwischen den Häuserzeilen befinden sich überdachte Parkplätze. Diese Überdachungen sind begrünt und werden bevorzugt von Kindern und Jugendlichen als Treffpunkt genutzt, da die Bepflanzung einen gewissen Sichtschutz bietet.

Außer einem Denkmal mit den olympischen Ringen erinnert nichts an die anfängliche Nutzung des Viertels. Eine dritte Bewerbung Innsbrucks um die Austragung der Winterspiele wurde von den BürgerInnen? der Stadt vor einigen Jahren abgelehnt, um den Bau eines weiteren olympischen Dorfes zu verhindern. Man befürchtete, hier könnte nach den Spielen ein neuer sozialer Brennpunkt entstehen. (April 2000) Grenoble

Das olympische Dorf der Winterspiele 1968 liegt, umgeben von neueren Wohnquartieren, im Süden der Stadt. Es wurde vom Architekten Maurice Novarina entworfen, der auch das Rathaus Grenobles, ein Hochhaus im Stil Mies van der Rohes, gebaut hat. Nach drei Seiten hin ist das Dorf von vierspurigen Straßen begrenzt, über die zum Teil Fußgängerbrücken führen. Innerhalb des Dorfes gibt es keinen Autoverkehr. Den Kern des olympischen Dorfes bilden vier- bis fünfgeschossige Zeilenbauten, die in regelmäßigen Abständen mit Durchgängen versehen sind. Um diesen Kern herum stehen acht 20-geschossige Hochhäuser. Bewohnt wird das Dorf vor allem von MigrantInnen? sowie sozial Schwachen.

Im südlichen Teil des Dorfes befinden sich zehn Wohnblocks, die heute als StudentInnenwohnheim? dienen und in denen während der Spiele die SportlerInnen? untergebracht waren. Erstaunlicherweise tragen die Häuser noch immer Schilder mit den Landesnamen der teilnehmenden Nationen. Besonders auffallend ist, dass das Schild am "österreichischen" Haus entfernt wurde. Dies geschah aus Protest gegen die FPÖ/ÖVP-Regierung, zumal die Stadt Grenoble infolge des Regierungswechsels die langjährige Städtepartnerschaft zu Innsbruck beendet hat. Die Wohnanlage der StudentInnen? ist durch einen zwei Meter hohen Zaun vom übrigen Dorf getrennt. Wie im übrigen Dorf lassen sich alle Fenster und Balkone mit Metalljalousien verschließen. Außerdem sind an fast allen Häusern Scheinwerfer angebracht, mit denen nachts die öffentlichen Flächen ausgeleuchtet werden. (Juni 2000) München

Das olympische Dorf in München, entstanden anlässlich der Sommerspiele 1972, ist ein komplexes Gebilde. Es vermittelt den Eindruck einer autarken urbanen Einheit, die auch ohne die restliche Stadt funktionieren könnte. Durch die enge Gruppierung der Gebäude, die verschiedenen Gebäudetypen und die extreme Durchgestaltung des öffentlichen Raumes hat das Dorf eine eigentümliche Dichte. Eingebettet in die ebenso durchgestalteten Grünanlagen des Olympia-Parks vermittelt sich heute das Bild einer Retortenstadt mit Retro-Chic.

Von einem Hauptplatz, an dem sich zahlreiche Geschäfte und Lokale befinden, verzweigt sich das Dorf in mehrere "Straßen". Jeder Straße ist eine Röhre in einer bestimmten Farbe zugeordnet, die ähnlich einer Pipeline auf Stelzen den Weg vom Hauptplatz in den jeweiligen Teil des Dorfes weist. Entlang dieser Straßen befinden sich lange Zeilen mit acht- bis zehngeschossigen Häusern, die nach Süden hin mit terrassenartig angelegten Balkonen ausgestattet sind, die fast alle bepflanzt sind. Zwischen diesen Häusern führen kleinere Wege über Treppen und Rampen zu weiteren Teilen des olympischen Dorfes, z.B. zu verschiedenen öffentlichen Bauten, sowie zu kleineren Reihenhäusern und Grünflächen mit Spielplätzen und Brunnenanlagen.

Die Nutzung des Wohnraums ist sehr gemischt. Es gibt Eigentums-, Miet-, und Sozialwohnungen sowie Studentenappartements und ein Hotel. Innerhalb des Dorfes gibt es kaum Verweise auf die Olympiade. Eine Gedenktafel erinnert an die israelischen Sportler, die während der Spiele Opfer eines Anschlags der palästinensischen Terrorgruppe "Schwarzer September" wurden. (April 2000) Seoul

Etwa 15 km südöstlich des Stadtzentrums von Seoul liegt das olympische Dorf der Sommerspiele 1988. Es entstand im Rahmen eines Stadtentwicklungsplans, der die Schaffung eines neuen metropolitanen Zentrums am Stadtrand von Seoul zum Ziel hatte. Von der U-Bahnstation "Olympic Park" aus gelangt man auf den Hauptplatz des Dorfes, der von einem dreigeschossigen gläsernen Einkaufs- und Servicecenter wie von einem Schutzwall umgeben ist. Der Platz selbst ist mit Steinplatten gepflastert. Ein ringförmiger Teil der Pflasterung ist glatter, weshalb er von Kindern und Jugendlichen gerne zum Rollschuh- und Fahrrad fahren benutzt wird.

Hinter dem Einkaufscenter liegen in fächerartiger Anordnung die Häuserzeilen des Dorfes. Sowohl die Geschosshöhe als auch der Abstand zwischen den Häusern nimmt vom Zentrum zum Rand hin zu. Im Zentrum sind die Gebäude sechs bis acht, außen bis zu 24 Stockwerken hoch. In den sich öffnenden Räumen zwischen den Häuserzeilen befinden sich Grünanlagen, Spielplätze und kleinere Ladengeschäfte. Durch die Positionierung der höchsten Gebäude am Rand des Dorfes entsteht ein gewisser Isolationseffekt. Die besondere Anlage befriedigt jedoch - zumindest dem Anschein nach - das Schutzbedürfnis seiner BewohnerInnen?.

Der vom Architekten Kyu Sung Woo stammende Entwurf bezieht sich auf die introvertierte Form traditioneller koreanischer Dörfer. Im Dorf gibt es ausschließlich Eigentumswohnungen, wobei die Wohnungsgrößen von 80 bis 200 qm deutlich über dem Durchschnitt in Seoul liegen. (Mai 2002) Sydney

Residents only beyond this point" empfängt ein Schild BesucherInnen? im olympischen Dorf in Sydney, das ca. 14 km westlich des Stadtzentrums in Homebush Bay, in direkter Nachbarschaft zum Olympiagelände, liegt. Das mittlerweile in "Newington" umbenannte Dorf wurde auf dem vorher stark umweltbelasteten Gelände einer Munitionsfabrik errichtet und grenzt direkt an ein Gefängnis und ein Industriegebiet. Die Hauptzufahrtstraßen sind jedoch so angelegt, dass man sich dem Dorf durch neu angelegte Parkanlagen nähert.

Zum Olympiagelände hin ist das Dorf mit vier- bis fünfgeschossigen Appartementhäusern gesäumt. Der Kern des Dorfes besteht hingegen aus kompakten Einfamilienhäusern, die alle auf den gleichen Gestaltungselementen aufbauen, deren Materialität, Anordnung und Farbe variieren. Bei der Planung des Dorfes wurde mit Greenpeace zusammengearbeitet. Angeblich ist es der weltweit größte mit Solarstrom versorgte Stadtteil.

Nach den Spielen wurden alle Häuser des Dorfes grundüberholt und weitere Bauflächen zur Erweiterung des neuen Stadtteils ausgewiesen. Die Eigentumswohnungen und Häuser des Dorfes, das an Musterbeispiele des New Urbanism wie die "Disney"-Stadt Seaside in Florida erinnert, sind sehr begehrt. Große Teile des Dorfes waren schon vor den Spielen verkauft, werden zum Teil aber erst jetzt bezogen. Im Kaufpreis ist u. a. ein "Sicherheitspaket" enthalten, das von Bewegungsmeldern in den Häusern bis zu einem patroullierenden Sicherheitsdienst reicht. (März 2002)

Wiebke Grösch / Frank Metzger

Dieser gekürzte Text ist Teil der Installation "nach olympia", 2002. Weitere Informationen und Fotos auf http://www.groeschmetzger.de, Kontakt: wf@groeschmetzger.de

Anmerkung:

1) Final Report, Olympic Summer Games Los Angeles, 1933

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