SCHÖNE NEUE MODELL-WELT
HafenCity: Vom Hochhausensemble zum olympischen Dorf
Test
Seitdem Städte ihre Flüsse als lukrative Standortfaktoren entdeckt haben, gilt es, die aus industrieller Zeit stammende funktionale Trennung zwischen Stadt und Fluss aufzuheben. In Hamburg soll diese Zusammenführung mit einer großen Geste geschehen. Mit dem Megaprojekt HafenCity wird - so ist zumindest die Vision der Städteplanerinnen - die hundertjährige "künstliche Trennung von Stadt und Hafen" aufgehoben.
Symbolisiert wird dieser städteplanerische Prozess durch die sogenannte Perlenkette. Bereits jetzt reiht sich entlang des nördlichen Elbufers in loser Folge ein repräsentatives Bauprojekt an das andere. In erster Linie entstehen hier hochmoderne Bürokomplexe und luxeriöse Arbeits- und Wohnlofts mit Elbblick. Vom flussaufwärts gelegenen AltonaerHolzhafen zieht sich dieses stadtplanerische Konstrukt in Richtung Innenstadt über St. Paulis Hafenrand und Landungsbrücken bis zum Hafen Trade Center. Dem angrenzend und in zentraler Lage soll mit dem Projekt HafenCity nicht nur die Perlenkette komplettiert, sondern auch das innerstädtische Terrain in seiner Fläche verdoppelt und bis an das Flussufer der Elbe erweitern werden. Die Planungen hierzu entbehren nicht einer gewissen Faszination, soll doch ein ganzer Stadtteil aus dem "Nichts" einer ehemals industriell genutzten Brachfläche riesigen Ausmaßes neu entstehen. Sie zeigen auch die Dimensionen, mit der hier die wirtschaftliche Verwertung städtischer Räume angegangen wird. Im Konkurrenzkampf der Städte hat die Attraktivitätssteigerung als touristisches Reiseziel und als Wirtschaftsstandort Vorrang vor anderen Maßnahmen städtischer Politik, die besser die Lebensbedingungen aller Bewohnerinnen berücksichtigen.
Der Plan für die Erschließung der innenstadtnahen Fläche wurde Mitte der 90er von dem damaligen Bürgermeister Henning Voscherau unter klandestinen Bedingungen entwickelt. Als das Projekt 1997 - taktisch geschickt wenige Monate vor der Bürgerschaftswahl - von Voscherau in einer Rede vor der Hamburger Bürgerschaft öffentlich gemacht wurde, waren entscheidende Weichen bereits gestellt und große Teile der künftigen HafenCity-Fläche still und heimlich in städtischen Besitz gebracht. Neben einer ideellen Aufladung des "historischen Bauplatz des 21. Jahrhunderts" und Überwindung einer hundertjährigen "künstlichen Trennung zwischen Stadt und Hafen", welche an den Fall der Mauer erinnere, stand die profane Idee, mit der Entwicklung der HafenCity die eigene Staatskasse zu füllen und sich ansonsten aus der Umsetzung heraus zuhalten. Durch die Vermarktung der Idee HafenCity sollten die aufgekauften Flächen Gewinn bringend an Investorinnen aus der Wirtschaft verkauft werden. Diese Investorinnen würden den neuen "Stadtteil" Wirklichkeit werden lassen, während Hamburgs Senat mit dem Geldregen weiter flussaufwärts bei Altenwerder ein modernes Containerterminal aufbauen könnte.
Von der mittlerweile regierenden Schwarz-Schill-Koalition wird diese Verknüpfung jedoch in Frage gestellt. Angesichts der wirtschaftlichen Flaute hat die neue Regierung Zweifel, ob der Bedarf an Immobilien, den die HafenCity zum Erfolg benötigt, wirklich vorhanden ist. Eine Entkoppelung HafenCity - Containerhafen ist daher nur folgerichtig, wenn die erhoffte Gewinnoption eines ausreichenden Realismus entbehrt. Das Projekt HafenCity selber scheint aber nicht zur Disposition zu stehen, da zu der städtischen Orientierung einer rein ökonomischen Aufwertung des Hafens keine Alternativen entwickelt wurden und werden.
Docklands an der Elbe
Angesichts der zeitlichen und geographischen Dimensionen des Projekts sprechen Politikerinnen und Städtplanerinnen von einem Jahrhundertprojekt, das in seinen Ausmaßen einmalig in Europa sei. Ein Vergleich zu den Docklands, einem ähnlich dimensionierten Projekt im London der Thatcher-Ära der 80er Jahre, drängt sich auf: Damals wurde brachliegendes Hafengelände im großen Maßstab zu einer Mischnutzung aus Dienstleistungsgewerbe und hochwertigem Wohnen transformiert. Das Projekt krankte an mangelndem Interesse, eine für damalige Verhältnisse hypermoderne architektonische Landschaft, aufgelockert durch Hafenbecken und englische Kurzrasenflächen blieb lange Jahre menschenleer.
Doch es gibt Unterschiede: In den Docklands wurde die gesamte Fläche in einem großen Schwung im staatlichen Auftrag bebaut und dann nach finanzkräftigen Nutzerinnen Ausschau gehalten, in Hamburgs HafenCity stellt die Stadt Flächen zur freien Verfügung, die Gestaltung der HafenCity ist aber nur lose durch einen "Masterplan" umrissen. Drum herum will die Stadt die Infrastruktur wie Straßen, Kanalisation und Stromversorgung aufbauen. Ansonsten sieht der städtische Anteil - neben Konzepten zum Hochwasserschutz - den Bau von Kindergärten und Schulen vor, weitere soziale oder kulturelle Vorhaben sind nicht vorgesehen. Beide Bereiche werden vielmehr der marktorientierten und daher kommerzialisierten Bedarfsdeckung durch die Wirtschaft überlassen. Auch ansonsten sind Konzeption und Vorgaben weitestgehend flexibel gehalten und offen für individuelle Adaptionen künftiger Bauherren. Diese Ergebnisoffenheit wird deshalb als Garantie genannt, dass sich der planerische Flop der Docklands in Hamburg nicht wiederholen kann. Der entscheidende Unterschied ist aber das geringere finanzielle Risiko, mit dem diese Konzeption verbunden ist und weniger die vermeintlich gebannte Gefahr eines Scheiterns.
Trotz eines dynamischen Konzepts melden sich in den Medien erste pessimistische Stimmen. So wird im Hamburger Lokalteil der Tageszeitung Die Welt die zögerliche Entwicklung beklagt und angesichts des weiterhin pausierenden Wirtschaftsaufschwungs der Bedarf für das mit der HafenCity entwickelte Flächenangebot in Frage gestellt.
Durch die Bewerbung Hamburgs für die Olympischen Spiele 2012 gerät nun neuer Schwung in die verhaltene Entwicklung der HafenCity. Teile der HafenCity sind in die Planungen eingebunden, am Baakenhafen kurz vor den Elbbrücken soll das Olympische Dorf entstehen, auf dem gegenüberliegenden Elbufer könnte das Olympiastadion und weitere Sportstätten für eine Anbindung der weitgehend vernachlässigten Südhälfte Hamburgs sorgen. Dem "ModellBarcelona" folgend, soll für Hamburg Olympia ein mehrfaches Schnäppchen darstellen: Zwar würde die Vorbereitungen beträchtliche städtische Investitionen verschlingen, verspräche aber nach Rechnung des Hamburger Senats nicht nur einen beträchtlichen Image-Gewinn und einen "Investitionsschub der Privatwirtschaft", sondern auch eine widerstandslose Beschleunigung aller stadtplanerischen Ziele. Als Nebeneffekt wäre ein nicht unbedeutender Teil der HafenCity für 2012 einer Nutzung zugeführt und müsste bis dahin nicht weiter auf das Engagement einer lustlosen Wirtschaft warten.
Olympia als Katalysator
Die mit diesen Plänen verbundene partielle Überschreibung des HafenCity-Masterplans - die Erschließung des entsprechenden Areals müsste um mehrere Jahre nach vorne verlegt werden - zeigt auch, wie dehnbar die konzeptionelle Klammer der HafenCity ist. Diese Dehnbarkeit führt übrigens zu der bizarren Situation, dass im HafenCity-Informationscenter ein Gesamtmodell ganz ohne olympische Applikationen auskommt, während neuerdings in der Innenstadt im H.E.W.-Kundencenter bereits ein modifiziertes Modell mit Fokus auf Olympiastadion und olympisches Dorf eine andere Zukunft suggeriert. Schöne neue Modellwelt, in der Hochhausensembles flugs gegen olympische Dörfer ausgetauscht werden können. Ob aber die Hansestadt überhaupt olympische Eigenschaften entwickeln darf, entscheidet sich erst in drei Jahren. Bis dahin soll nicht nur die Bewerbungskampagne mit dem mehrdeutigen Slogan "Feuer und Flamme für Hamburg" am Lodern gehalten werden, sondern der kleinteilige Aufbau der HafenCity bereits aus eigener Kraft eine Beschleunigung erfahren.
Abgesehen von den Unwägbarkeiten des stadtentwicklungspolitischen Geschäfts stellt sich die Frage, wie sich aus diesem zentral gelegenen "Nicht-Ort" so etwas wie "Stadt" überhaupt entwickeln kann. Elastische Masterpläne und ausgestellte Modelle, wie sie im Infocenter HafenCity zu bewundern sind, sind sicherlich wenig hilfreich, um eine Diskussion über die zukünftige Nutzung des Hafens zu initiieren. Auf einem kürzlich im Infocenter abgehaltenen Symposium wurde diese Frage ebenfalls gestellt, um dann gleich mit Forderungen nach Parks und Plätzen sowie kultureller Erschließung beantwortet zu werden. Das klingt zwar schön und engagiert, aber offene Flächen und deren kulturelle Bespielung allein ergeben keinen öffentlichen Raum und der Bau architektonischer Hohlkörper aus Metall und Glas generiert nicht automatisch einen urbanen Ort.
Ulf Treger (UlfT)
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