<b>KathrinWildner |
<b>[Kathrin Wildner] |
Langfassung
HAFENCITY MENTAL MAPS - Vorgestellte Karten eines zu besetzenden Raumes
Zusammenfassung eines Vortrages bei ReadyToCapture, artgenda 22.6.2002
I MENTAL MAPS DES URBANEN RAUMES
Allgemein kann man eine physische Kartographie (z.B. technische Karten oder Stadtpläne) von einer symbolischen Kartographie (Karten in denen der Raum mit Erinnerungen und Symbolen assoziiert wird) unterscheiden. Mental Maps sind Karten in denen sich Erinnerung, Orientierung, Wichtigkeiten, individuelle und kollektive Nutzung von alltäglich benutzten Orten mischen. Das Zeichnen dieser mentalen (oder kognitiven) Karten, ist eine Methode der Stadtethnographie zur Untersuchung der Wahrnehmung und Aneignung von urbanem Raum.
Ich habe diese Methode angewandt, um herauszufinden was die vorgestellten Bilder der HafenCity in den Köpfen der Menschen sind. Das Projekt ist ein Experiment, da der Raum (noch) nicht mit alltäglicher Praxis besetzt ist, sondern zur Zeit sich als eine temporäre Spekulationsbrachfläche darbietet.
Urbaner Raum
Urbaner Raum wird hier als materieller, sozialer und diskursiver Raum verstanden. Der materielle Raum beschreibt die infrastrukturelle Gliederung, Bebauung und Architektur eines Raumes. In einem stofflichen materiellen Sinn, ist auch das verwendete Material (Beton, Glas, Stahl, Ziegel, Sand, Asphalt, etc.) und das städtische Mobiliar (Straßenlampen, Bänke, Abfalleimer, Bushaltestellen, etc.) von Bedeutung.
Der soziale Raum bezieht sich in einem szenischen Sinn auf den Raum als Bühne für Handlungen und Aktionen der Bewohnerinnen. In diesem Raum zeigt sich auch die gesellschaftliche Ordnung und ihre Institutionen.
Der diskursive Raum verweist auf die Idee von Stadt und von Urbanität, die den Handlungen zugrunde liegt. Dieser Raum wird in Diskussionen hergestellt und verhandelt. Er bezieht sich aber auch die Darstellung des Raumes, die Konstruktion seiner Repräsentation und seines Images. In einem ikonographischen Sinn enthält der Raum bestimmte Symbole, die auf etwas anderes als nur ihre materielle Objekte verweisen (das ist z.B. ganz deutlich bei Monumenten und Denkmälern, die auf bestimmte Ereignisse, Ideologien oder Diskurse verweisen).
Diese Eigenschaften des Raumes sind eng miteinander verwoben und bedingen sich gegenseitig im „urbanen Raum„. Hieraus ergibt sich: Urbaner Raum beeinflußt Menschen und ihre Interaktionen und Menschen beeinflussen durch ihre Nutzung und Aneignung den urbanen Raum. Urbaner Raum ist demnach immer auch ästhetischer, vorgestellter, und ideologischer Ausdruck einer Gruppe.
Entwicklung der Methode der Mental Maps
Die Methode der Mental Maps wurde von Geographen entwickelt. In den 50er Jahren stellte der Geograph Kevin Lynch fest, daß die Ordnung des städtischen Raumes aus sichtbaren Elemente (Straßen, Plätze, Brücken und Gebäude) und unsichtbaren Elemente (Grenzen, Knotenpunkte und Wege) besteht. Die architektonischen, wie auch die unsichtbaren Elemente sind als Referenten der räumlichen Komposition zu lesen. Um auch die unsichtbaren Elemente zu erfassen, fragte Lynch Bewohnerinnen verschiedener Städte nach ihren mentalen Karten der Stadt.
In den 80er Jahren fragten sich Roger Downs und David Stea wie die Welt in dem menschlichen Kopf (visuell) geordnet wird. Sie kombinierten psychologische, geographische, soziologische und ethnologische Ansätze mit dem Ziel, zu untersuchen, wie das menschliche Gehirn arbeitet, die Umwelt erkennt, kodiert und interpretiert. Sie nennen den Vorgang des kognitiven Kartierens einen individuellen Prozeß, in dem sich zeigt, wie eine Person die organisierte Repräsentation ihrer alltägliche räumlichen Umgebung darstellt. Da sowohl räumliche Gegebenheiten als auch kognitiv-neuronale Vorgänge eine Rolle spielen, ist die Interpretation dieser Mental Maps im Grenzbereich zwischen Geographie und Psychologie anzusiedeln.
Die meisten ethnologischen Methoden arbeiten auf die ein oder andere Weise mit geschriebenen oder gesprochenen Texten (Interviews, Umfragen, Beschreibungen etc.). Eine Analyse der räumlichen Wahrnehmung und Repräsentation erfordert jedoch auch Methoden, die mehr eine Visualisierung als eine Textualisierung des Raumes zum Gegenstand haben. Die Stadtethnologie nutzt die Methode des mental mapping, um die Beziehung zwischen physischer Umwelt, Wahrnehmung und kognitiver Organisation des Raumes zu untersuchen.
Das urbane Territorium ist mit Erinnerungen, Erfahrungen und kulturellen Symbolen besetzt und assoziiert. Mental Maps beziehen sich auf diese assoziative Wahrnehmung der Stadt. Sie sind individuelle Interpretationen des Raumes und Ausdruck des Denkens oder einer Gedankenordnung, sie visualisieren die subjektive erlebte Stadt. Räumliche Wahrnehmungen sind außer von den eigenen Erfahrungen aber auch von gesellschaftlichen Vorstellungen oder Schemata beeinflußt. Das heißt diese Orte der Erfahrung oder vielmehr der möglichen Erfahrung sind mit kulturellen Bedeutung aufgeladen.
Mental Maps stimmen nicht mit „der Wirklichkeit„ überein, sondern sind auf unterschiedliche Weise ungenau und verzerrt. In einigen Karten werden selbst erfahrene oder benutzte Räume oder vielmehr das Wissen und die Kenntnisse über diese (wenn auch lückenhaft) gespiegelt. Andere Karten sind viel mehr symbolische Interpretationen fiktiver Landschaften und oder Klischeebilder, also Zeichnungen von Plänen oder Karten, die wir gesehen, aber nie erlebt haben.
Bearbeitung und Auswertung
In einer Phase der Forschung oder als Teil eines Gesprächs werden die Interviewpartnerinnen gebeten, Karten ihrer (städtischen) Umwelt zu zeichnen. Hierbei ist die Frage (wie auch bei anderen Interviews) von großer Bedeutung: Fragt man nach einem bestimmten Ort (z.B. ein Stadtviertel), nach der alltäglichen Nutzung, nach Grenzen eines Raumes oder nach wichtigsten persönlichen Orten, kann man unterschiedliche Ergebnisse erzeugen.
Mit den Karten werden Daten zum sozialen Hintergrund der Gesprächspartnerinnen aufgenommen und vor allem ihre Erklärungen während des Zeichnens notiert. In dieser Kombination von Karten und Erklärungen lassen sich individuelle Wahrnehmungen psychologisch interpretieren. In der Stadtethnographie geht es aber nicht so sehr um die Geschichte der Personen hinter den Karten, sondern um Ähnlichkeiten, Unterschiede und Merkmale der Wahrnehmung herauszufinden, anhand derer sich bestimmte Kategorien eines Raumes entwickeln lassen. Ein erster Schritt ist die [statistische Auswertung] der Karten. Im Allgemeinen (bei der gleichen Frage) unterscheiden sich die Karten beispielsweise im Grad der Abstraktion und in der Benutzung von Symbolen oder Worten. Einige Karten ähneln sich im Gebrauch charakteristischer Markierungen und Knotenpunkte. Das Ergebnis dieser Forschungsmethode ist ein Katalog von städtischen Elementen, der die Nutzung, Wahrnehmung und Interpretation eines spezifischen Raumes reflektiert.
II
HAFENCITY
Ich habe die Methode der Mental Maps angewandt, um herauszufinden was das Bild des Raumes der „HafenCity„ in den Köpfen der Menschen ist. Die „HafenCity„ ist ein noch unbebautes Gelände, bzw. ein Gelände, das umfunktioniert wird. Die ehemalige Funktion (des Freihafens) wird im materiellen Sinn abgeschafft und abgerissen, bekommt einen neuen Namen und wird damit erst mal zu einer (leeren, zu besetzenden) Projektionsfläche.
Meine These war:
Da es möglich ist den zukünftigen Stadtteil zu sehen (z.B. in Informationsbroschüren, im Modell und den Animationen im Infocenter KesselHaus; ähnlich wie auch bei der roten Infobox am Potsdamer Platz in Berlin), entsteht die Stadt in den Köpfen der Menschen. Diese virtuelle Herstellung der Stadt kann als eine Strategien interpretiert werden, um die Menschen mit dem Ort vertraut zu machen. Dadurch wird die zentrale Phase in der sich Urbanität herstellt, nämlich mit dem Wachsen und der Aneignung der Räume durch die Bewohnerinnen übersprungen. Man gelangt von einer Baustellenfläche zu einer „perfekten Urbanität„. In dem das Bild schon virtuell hergestellt wird, entstehen unter Umständen spezifische Mental Maps in den Köpfen der Stadtbewohnerinnen.
Meine Forschungsfragen waren:
• Wie wird der noch unbesetzte Raum wahrgenommen, assoziiert, eingeordnet?
• Gibt es eine Erinnerung an den Raum „vor der HafenCity„?
• Wird dargestellt wie der Raum jetzt (noch) aussieht???
• Wie sehr sind die Karten/ Vorstellungen der HafenCity vom Informations- und Werbematerial der GHS beeinflußt?
Ich habe Karten unter der Aufgabe „Zeichne eine Karte des Geländes der >HafenCity Hamburg< zeichnen lassen. Zunächst waren es 20 Karten von Hamburgern. Während des Vortrages selbst wurden von den Beteiligten 6 weitere Karten gezeichnet. Sowohl die Auswahl als auch die Anzahl der Karten für dieses Experiment gibt ein relativ begrenztes Sample. Um ein genaueres Bild zu bekommen, müssen mehr Karten z.B. von Architekten, Touristen, ehemaligen Hafenarbeitern und aktuellen Baustellenarbeitern gemacht werden.
Interpretation der Karten
Die Auswertung und Interpretation der Karten habe ich zunächst nach Unterschieden und Ähnlichkeiten, nach sich wiederholenden Symbolen und charakteristischen Merkmalen geordnet. Dabei ergaben sich zusammenfassend folgende Ergebnisse (vgl. auch statistische Auflistung):
Ein erster Ansatz war herauszufinden welche Perspektive oder Wahrnehmungsposition die Karten wiedergeben. Auf den meisten Karten ist im Gegensatz zu sonst üblichen Karten der Norden unten und der Süden oben dargestellt. Daraus ergibt sich, daß die Perspektive der Zeichnenden der eher alltäglichen Richtung, dem Blick vom Stadtufer (Landungsbrücken, Speicherstadt) auf das Hafenufer im Süden entspricht. Das Modell ist allerdings immer von der Hafenseite aus dargestellt.
Ein weiterer Merkmal ist der Ausschnitt, bzw. der Kontext der Karten. Viele Karten beziehen einen größeren Ausschnitt der Stadt mit ein, als Referenten dienen z.B. die Elbbrücken, die Hafenanlagen, aber auch die Alster. Einige der Menschen, die das Gelände nicht kennen, verorten das Hafengelände im Zusammenhang mit dem Stadtplan Hamburgs, andere reproduzieren (vielleicht auch durch die spezifische Aufgabenstellung bedingt) die Erinnerung an das Modell der zukünftigen Stadt. In einigen Karten wird das nördliche Elbufer bis zum Fischmarkt oder noch weiter bis zum Elbstrand einbezogen. Nur wenige Karten zeigen das ganze Gelände der zukünftigen „HafenCity„, häufig sind es kleine Ausschnitte, zumeist die, die der Speicherstadt am nächsten liegen. Wenn die Menschen mit dem Gebiet vertraut sind, sei es durch Arbeit oder Besuche, werden spezifische bestehende Gebäudekomplexe, Straßenzüge oder Brachen markiert.
Ein weiteres Auswertungskriterium sind die gezeichneten geographischen und architektonischen Elemente in den Karten wie z.B. Wasser, Ufer, Brücken, Straßen, Häuser. Auffallend (aber typisch für Mental Maps im Allgemeinen) ist, daß nur sehr wenig (soziale) Aktivitäten in den Karten vermerkt werden, hier z.B. Spaziergänger, Angler. Auch unsichtbare, symbolische oder ganz individuelle Markierungen tauchen nur sehr selten auf. Beispiele sind „Yuppies„, „gute Aussicht„ und „super Toreinfahrt„.
Beschreibung einzelner Karten
Schlußbemerkung
Die Ergebnisse dieses Experiments sind etwas anders als ich, meiner Ausgangsthese entsprechend, erwartete habe. Zunächst ist festzustellen, daß nicht wirklich viele Menschen mit dem Gelände vertraut sind. Sie kennen weder das Gelände in seiner früheren Funktion als Hafengebiet, noch die neuen Pläne er „HafenCity„. Mit dem Begriff „HafenCity„ werden Vorstellungen assoziiert, die Fragmente aus dem öffentlichen Diskussionen um das Bauprojekt entsprechen (z.B. „Bürokomplexe„, „Wohnen am Wasser„, „neue Yuppiegegend„, etc.).
Die meisten Karten zeigen die Orte, die bekannt sind, die Speicherstadt oder entlang des städtischen Elbufers. Einige Karten zeigen ganz spezifische Orte eigener Erfahrung einzelner Personen. Die Befragten, die sich in den letzten Monaten vor allem unter Bezug auf die städtische Entwicklung und Planungsvorhaben mit dem Gelände beschäftigt haben, kennzeichnen das Gelände im Jetzt-Zustand, bzw. markieren Prozesse der Veränderung (Abriß etc.).
Als weiterführende Aspekte und Überlegungen bleiben:
• Eignet sich die Methode der Mental Maps, die für die Erfassung alltäglich belebter urbaner Räume entwickelt wurde, um etwas über ein noch unbewohntes Gelände zu erfahren?
• Was sagen die Karten über die Bedeutung dieses urbanen Raumes und vor allem für seine zukünftige Gestaltung?
• Welche Rolle spielen Architekturpläne, Computerbilder und Medien im Allgemeinen bei der Konstruktion einer Stadt oder eines Stadtteils? Was bedeutet die virtuelle Herstellung von zukünftiger Stadt für den Prozeß der Urbanisierung?
• Und schließlich, was ist „Urbanität„? Sind es die Ideen und Bilder, die wir von Stadt haben? Oder sind es die urbanen Räume, die mit spezifischen Funktionen (Verkehr, Einkaufen, Wohnen), mit sozialer Aktivität oder mit gesellschaftlichen Widersprüchen besetzt sind?
Siehe[statistische Auswertung]
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