BIGNESS IS FASCINATING
Linke Kulturproduzentinnen und die Auseinandersetzung mit der Hamburger HafenCity
In Hamburg gibt es relativ viele und recht unterschiedliche Gruppen, die sich mit der HafenCity auseinander setzen. Das hängt zum einen mit der Tragweite dieses städtebaulichen Großprojekts zusammen, entspringt zum anderen aber auch der Tatsache, dass die Beschäftigung mit der HafenCity eine Beschäftigung mit Urbanismus bedeutet und Urbanismus in der kulturlinken Szene gewissermaßen "in" ist.
Polemisch zugespitzt heißt das: Die traditionellen Schlagworte von Arbeit und Kapital, Fabrik und Gesellschaft sind staubig geworden, die neuen Schlagworte von Stadt und Unternehmertum, Architektur und Freizeitkultur sind vielversprechend. Sie sind vielversprechend, weil sie vieles zu beinhalten scheinen, was Aufschluss über den Zustand der Gesellschaft gibt. Das Phänomen Stadt ist eine zeitgemäße Metapher für die Gesellschaft, und die Entwicklung von urbanen Strukturen ist Ausdruck ökonomischer Tendenzen. Neben dieser inhaltlichen Seite fasziniert die Kulturproduzentinnen auch die ästhetische Ebene. Im Urbanismus lässt sich das Gesellschaftliche an der skulpturalen Form der Architektur ablesen, und das Ökonomische zeichnet sich in der Bildwelt der Stadtentwickleriinnen ab. Diese visuelle Seite lockt aber nicht nur kulturelle Produzentinnen, sondern bringt den politischen Zeitgeist auf den Punkt. Denn Imagepolitik ist eine der wesentlichen Regierungstechniken geworden, und die Auseinandersetzung mit der Bilderwelt der städtischen Wunschgesellschaft antwortet angemessen auf diesen Zeitgeist.
Der Wunsch einmal nicht Provinz zu sein
Das Phänomen Stadt ist zwar politisch bezeichnend, es lässt sich jedoch nicht alleine mit den politischen Grundbegriffen von Kapital und Regierungstechnik erklären. Zugleich kann aber die alte Frage nach den verborgenen Machtstrukturen eben nicht alleine optisch reizvoll am Architekturmodell beantwortet werden. Stadtentwicklung und Urbanismus sind also beides: ungemein bezeichnend und begrenzt reichhaltig.
Die HafenCity zieht zunehmend die kritische Aufmerksamkeit nicht nur der Kulturproduzentinnen auf sich. Auch andere städtebauliche Großprojekte wie der Potsdamer Platz in Berlin, das CentrO? in Oberhausen oder der Spacepark in Bremen werden mit kritischer Anteilnahme bedacht, weil sie generalstabsmäßig und kapitalintensiv durchgesetzt wurden und weil sie politische und industrielle Brachflächen physisch und diskursiv besetzen. Trotzdem gehorcht die Entscheidung, sich mit diesen Projekten zu beschäftigen, keinem politischen Naturgesetz, sondern inhaltlichen wie emotionalen Gründen. Da ist die Faszination nicht zu unterschätzen, mit der auch kritische Geister auf die visionäre Kraft, faktische Größe und ökonomische Durchsetzungsmacht dieser Großprojekte reagieren: Bigness is fascinating. Auch sind die Erwartungen groß, dass die urbanen Großvorhaben exemplarisch für überregionale, gesellschaftliche Tendenzen stehen, dass sich also das Lokale als das Globale begreifen lässt und die Beschäftigung mit der eigenen Stadt nicht nur Provinzialismus, sondern eben Urbanität bedeutet.
Größe und Macht ziehen an. Gigantische Unterhaltungszentren, überdimensionale Einkaufskomplexe, riesige Glasfassaden, stadtteilgroße Neubauzonen faszinieren in einer Mischung aus Abscheu und Begeisterung. Größe signalisiert, dass es um das Ganze geht. Die Auseinandersetzung mit Großprojekten verleiht das Grundgefühl, bei den wesentlichen Prozessen der Gegenwart dabei zu sein. Die Faszination an Größe ist aber nicht die spezifische Schwäche der Kulturproduzentinnen, noch zeigt sie sich alleine im Urbanismus. Mit dem Anspruch, die politischen Gesamtstrukturen zu entlarven, den Staat zu kritisieren, die Großindustrie zu prüfen oder den Militärapparat zu verabscheuen stand immer schon das Ganze auf dem Spiel und die Faszination an der Macht spielte dabei immer schon eine listige Rolle. Gleichzeitig ist aber diese Faszination nicht wirklich ein Makel, sondern ein Faktum, das es schlicht zu bedenken gilt: "Verliebe Dich nicht in die Macht" (Foucault). Jede widerständige Aktion und jeder kritische Disput greift in bestehende Machtkonstellationen ein, ist ein Teil vom Kraftverhältnis und verändert bestenfalls die in ihm wirksamen Komponenten. Ziel ist es, das eigene ambivalente Spiel mit der Macht zu reflektieren und als Faktor in der jeweiligen Aktion zu integrieren.
Neben der Faszination an Größe und Macht spielt aber im Urbanismus die Platzhalterfunktion eine wesentliche Rolle, mit der die Stadtentwicklung immer schon für mehr als die konkrete Bebauung von Brachflächen steht. Sind aber die Prozesse hinter den Speicherstadthäusern bei den Brachflächen der zukünftigen HafenCity tatsächlich von allgemeiner Bedeutung? Die Beschäftigung mit dem Phänomen HafenCity und die Auseinandersetzung mit den konkreten Verantwortlichen hat zweierlei gezeigt: Zum einen repräsentiert das Image der HafenCity gereinigte Wunschgesellschaft, zum anderen praktiziert die HafenCity schon konkret eine Kontrollpolitik, die sich als generelle Tendenz einmal mehr bestätigt. Die virtuelle HafenCity hat eine reale Stadtmauer, deren Torhüter die Kriterien für den Einlass festlegen und an den echten Individuen überprüfen. Gruppen, die sich auf dem Terrain der zukünftigen HafenCity mit dieser auseinander setzen wollen, durchlaufen einen Kontroll und Normalisierungsprozess, vor dem nicht die Distanznahme, sondern alleine die Reflexion schützt. Es gibt keinen Ort auf dem Areal der zukünftigen HafenCity, der ohne die Genehmigung der privatwirtschaftlich geführten GHS verwendet werden kann. Jede Form der Zwischennutzung, wo überhaupt erwünscht, wird auf den imagebildenden Mehrwert hin überprüft, den sie für eine positive Standortpolitik schöpfen kann. Kritische Projekte, die den Planungsprozess der HafenCity in Frage stellen, sind weniger erwünscht als denkmalpflegerischer Vorhaben, die dem Erhalt der Krantechnik aus der Jahrhundertwende dienen. Noch bevor sie wirklich wird, normiert die HafenCity den Standard des gewünschten HafenCity-Nutzers, und diese/ r Nutzerin stört den reibungslosen Ablauf des Kapitalverkehrs nicht. In dieser Hinsicht steht die HafenCity exemplarisch für eine gesellschaftliche Tendenz, die überall sichtbar wird. Die Kontrollpolitik ist die eine Seite in der Auseinandersetzung mit der HafenCity, die Bildpolitik ist eine andere.
In der Bildwelt, mit der die HafenCity sich anpreist, wird die Idee von einem Stadtteil beworben, in dem alles neu in zukunftsträchtig ist. Es wird eine Landschaft gezeichnet, in der neue Medien, neuen Technologien, neue Wirtschaftsformen und neue Lebensstile im bläulichen Ton der Computeranimation harmonisch koexistieren. Gleichzeitig zeigen sich die Ausgrenzungsmechanismen in der planmäßigen Abwesenheit von Wohnstätten und Aufenthaltsorten für Menschen unterer Einkommensklassen. In virtuellen Rundflügen wird die öffentliche Fantasie mit der Zukunft sichtbar. Am architektonischen Modell wird die Zukunft der Arbeit in der Form des Bürobaus verhandelt. Mit der HafenCity wird die Vision bauarbeiterlich in Beton gegossen und ingenieurtechnisch in Glasfaser gelegt. Die Bildproduktion, die mit dem Bewerben der HafenCity einhergeht ist so bezeichnend, weil sie mit der Wunschenergie des Visionären einhergeht. Die HafenCity existiert noch nicht, daher weist sie scheinbar unbelastet ins nächste Jahrtausend. Das enthemmt die Stadtplanerinnen und euphorisiert die Architektinnen. Vor der optischen Kulisse der Brachfläche und der faktischen Arbeit am Bau scheint die Wunderwelt der befriedeten Zukunft wie greifbar. Es wird offensichtlich am Erzeugen der Vision gearbeitet. Diese Mischung aus visionärer Bilderwelt und realer Brache setzt sich dem Vorwurf der Ideologie fast notwendig aus. Denn zwischen Image und Zukunft scheint nur noch die Bautätigkeit zu stehen und nicht mehr die Wirklichkeit, die den Bilderraum auf seine reale Tauglichkeit und wirklichen Voraussetzungen hin befragt. Die Brache ist eben nur scheinbar leer und unbelastet. Unter ihr liegen die Altlast der Industriegesellschaft verborgen.
Um den ideologischen Charakter der gegenwärtigen Bildpolitik zu beschreiben, sind Projekte wie die HafenCity nützlich und in dieser Hinsicht ist die Beschäftigung mit Urbanismus nicht Zeitgeist sondern Notwendigkeit. Die HafenCity ist eine hochkondensierte Nährlösung für gesellschaftliche Zukunftslösungen eine effektive Wunschmaschine. Das macht nicht nur die Faszination der HafenCity aus, sondern zeigt gleichzeitig, wie wichtig eine Auseinandersetzung mit ihr ist.
Anke Haarmann (AhA)
Zurück zu TextProduktion