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Koons am Bau

"Akropolis", "Eiffelturm": Hamburg will schöner werden ­ auf absonderliche Weise

Erektionen zählen was auf der Reeperbahn. Und auch Imponiergehabe kommt in Hamburgs Vergnügungsviertel eindeutig besser an als Skepsis oder Bescheidenheit. Auf dem Spielplatz für Große ist Protz eben noch eine völlig schamfreie Angelegenheit.

Nachdem dieser unternehmerisch durchaus erfolgreiche Stil von der Hamburger Politik immer geduldet, aber nie kopiert wurde, hat der dortige Kiez nun endlich einen Verbündeten im Mitte-Rechts-Senat gefunden, der diese Botschaft versteht und umzusetzen weiß: Bausenator Mario Mettbach von der Schill-Partei schenkt der Reeperbahn den totalen Budenzauber in Form des weltgrößten Kinderzimmers ­ natürlich mit ordentlich schlüpfriger Symbolik. Jeff Koons, dessen Werk bekanntlich wenig Berührungsängste zu Pornografie und nacktem Entertainment aufweist, darf ab Herbst die größte künstlerische Intervention, die eine deutsche Stadt je gesehen hat, in Hamburg realisieren.

Auf dem Spielbudenplatz, der längs der Reeperbahn das Millerntor mit der Davidstraße verbindet, sollen sich zwei 110 Meter hohe Kräne erheben. Diese halten ein fachwerkartiges Konstrukt, das vom Künstler wahlweise als Oberlippenbart oder bestrapste Frauenbeine beschrieben wird. Wobei die Enden dieses insgesamt fünf Millionen Euro teuren Gebildes mit 20 Meter hohen Schwimmringen bestückt werden, die trotz ihrer angeblichen Familientauglichkeit an diesem Ort eher an das alte Spiel auf Hieb und Stich denken lassen. Zu all dem sollen auf einem schwarzen Bodenbelag große weiße Schifferknoten abgebildet werden ­ als Reminiszenz an die ursprüngliche Funktion der Reeperbahn als Seilerei, denn bis 1883 wurde hier Hanf zu Tauen (Reeps) verarbeitet.

Berauscht von sich selbst und den gierigen Wünschen der Hamburger Stadtregierung nach marketingträchtigen Superlativen erklärt Koons seinen Entwurf gleich selbst zu "einem der wichtigsten Kunstwerke des 21. Jahrhunderts, vergleichbar nur der Akropolis und dem Eiffelturm". Mit etwas mehr Zurückhaltung erkennt man in dieser jeden Maßstab sprengenden Kunstinstallation, die den benachbarten Michel als Stadtkrone ablösen möchte, aber eher den Ausdruck der Las-Vegas-Politik, mit der Ole von Beusts Regierung seit zwei Jahren aggressives Stadtmarketing betreibt. Ob mit Olympia-Bewerbung oder Polizeiuniformen vom Designer Luigi Colani, mit einem neuen Aquadome "für Klassik und Kabeljau in der Hafencity" oder dem heimlichen Abriss von sperrigen Kunstwerken im öffentlichen Raum ­ diese Regierung versucht mit allen Mitteln die Stadt auf ihre Vermarktbarkeit hin zu trimmen. Koons größenwahnsinniges Spaß-Monument bietet dafür die perfekte politische Symbolik.

Die mit solcher Neonpolitik einhergehende Verwahrlosung demokratischer Sitten wird offenbar in Kauf genommen. Formaljuristisch ist es zwar möglich, einen derartig massiven Eingriff ins Stadtbild nach privater Senatorenlaune irgendeinem Künstler anzuvertrauen (von dem man mal irgendwas gehört hat) ­ aber das Verständnis vom öffentlichen Bauen, das sich in Hamburg offenbart, ist dennoch nichts anderes als dies: Provinzfürstendenken. Auf die Frage, warum man bei einer so bedeutenden Bauaufgabe keinen Wettbewerb ausgelobt hat, antwortet der Bausenator: "Wenn ich in meinem Wohnzimmer einen Rembrandt haben möchte, dann lade ich doch nicht Picasso zum Wettbewerb ein". Die Betonung liegt hier auf "meinem Wohnzimmer" und charakterisiert treffend, wie manche Hamburger Senatoren ihre Rolle als Volksvertreter verstehen.

Kiez As Kiez Can

Nun ist die Verwechslung von geliehener und Eigenmacht bei der Entscheidung über öffentliche Kunst in diesem Fall vielleicht besonders prekär ­ Willkürakte bei der Aufstellung und Zerstörung von Kunstwerken gehören aber fest zur Geschichte des öffentlichen Monuments. Helmut Kohls einsame Entscheidung für eine vierfach vergrößerte Kollwitz-Pietà in der Alten Wache Berlins oder der Abriss der Kassler Kunsttreppe durch den CDU-Bürgermeister Lewandowski in einer rechtswidrigen Nacht-und-Nebel-Aktion gehören zu den berühmtesten Beispielen.

Lewandowski wurde übrigens Anfang des Jahres wegen dieses populistischen Aktes zu einem Bußgeld wegen Untreue verurteilt; er beschließt also vorläufig die lange Tradition der Vandalismus-Prozesse, die von Alkibiades (angebliche Hermen-Entmannungen) über Courbet (Sturz der Vendôme- Säule) bis zum gerichtlichen Streit um die Bedeutung von Graffiti eins ganz deutlich zeigt: Kunstsymbole im öffentlichen Raum bleiben mächtige Indikatoren für die diskursive Verfasstheit einer Gesellschaft.

Immer wieder entzünden sich an ihnen Fragen von politischer Arroganz und "gesundem Volksempfinden", von schwelenden Ressentiments oder Stellvertreterkriegen ­ und die Heftigkeit der Reaktionen hat schon so manchen optimistischen Beobachter seiner Illusionen beraubt, das Bürgerwesen sei doch im Kern gebildet und friedfertig.

Genau deswegen verlangt die Entscheidung über staatliche Eingriffe mit den Mitteln der Kunst nach einer Einbettung in demokratische, Selbstkritik fördernde Regularien. Gerade politische Kunstlaien ­- das zeigt die an Skandalen reiche Geschichte städtischer Monumente -­ unterschätzen oft den Reizfaktor der Kunst. Die Folgen reichen dann vom Aufruf über die Empörung bis zum Abriss. Oder, im Gegenteil: Die Wirkkraft der Kunst wird überschätzt ­ dann begegnet das Publikum dem Werk mit Desinteresse. Kunst im öffentlichen Raum muss aber an ihrem Anspruch gemessen werden, außerhalb des Museums eine aktive Auseinandersetzung der Gesellschaft mit sich selbst zu stiften ­und zwar durchaus in Form einer bewusst installierten "Zumutung". Das leisten aber weder sozial wirkungslose und ästhetisch meist stumpfe Kunst-am-Bau-Programme noch Abwurfstellen für die plastische Arbeit autonomer Künstler auf Stadtplätzen.

Die Aufgabe der Politik besteht also nicht in der politisch autonomen Umsetzung eines Künstlerwillens, sondern in der Fähigkeit, demokratische Willensbildung und künstlerische Autonomie in einem Prozess zu verbinden. Und gerade auf diesem Terrain könnte man sich in Deutschland aus einem großen Erfahrungsschatz bedienen. Sei es aus der dreißigjährigen Geschichte des bedeutenden Skulpturen-Festivals in Münster oder dem Streit um das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin die Diskussion über die Konzeption und Wirkung von Kunst im öffentlichen Raum besitzt in diesem Land ein dankbar hohes Niveau. Und souveräne Politiker bedienen sich auch ganz selbstverständlich dieser Erfahrung: in Form von Kunstbeiräten, Kuratoren und Jurys.

Doch damit solche Diskussionen zu einer klugen Entscheidung reifen, muss man sie führen, bevor man loslegt. Sonst endet die Geschichte um Jeff Koons millionenteure Spielzeugerektionen wie kürzlich der Streit um den denkmalgeschützten Pfarrhof im schwäbischen Achsheim: Den haben zwei selbstgerechte Dorfbewohner irgendwann einfach weggesprengt. Oder ist es undenkbar, dass angesichts der neuen politischen Sitten in Hamburg autonome Entscheidungen eines Tages mit autonomen Aktionen beantwortet werden?

Till Briegleb - SZ 02/05/03

Siehe außerdem den Artikel # [Koons - ein Eiffelturm für Hamburg] (Hamburger Abendblatt 2003-07-02). An Jeff Koons und den Entwurf seines Kunstwerks für den Spielbudenplatz werden sich auch nach der Vorstellung seines kräftig revidierten Konzeptes die Geister scheiden. Von Karl Günther Barth


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